Wo bleibt Ralf?
Freitag, 25.04.2014
"Nichts ist erfunden, alles so oder ähnlich passiert!" beteuert Christa A. Thiel. Sie schreibt kleine Geschichten, die Manni erlebt. Diesmal will Manni Freund Ralf helfen. Den hat die Familie von der Konfirmation seiner Tochter ausgeschlossen.
"Wo bleibt nur Ralf? Drückt er sich doch?" fragt sich Manni. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz – nein, bis auf den vorletzten Platz besetzt. Denn bereits seit einer halben Stunde sitzt Manni in der letzten Reihe, hält neben sich den Platz frei und wartet auf Ralf. Ralfs Tochter Nine wird heute konfirmiert. Luftlinie trennen Vater und Tochter gerade mal 2,4 Kilometer, aber seit sich vor drei Jahren die Eltern getrennt haben, sind es Welten. "Nine tut mir leid!" denkt Manni. "Was kann sie denn dafür, dass ihre Mutter einen zweiten Frühling nach der erfolgreichen Diät erlebte und dass ihr Vater lieber Überstunden kloppte, als nach Hause zu kommen." Die Glocken läuten, Manni schaut auf die Uhr: Noch drei Minuten und Ralf ist immer noch nicht da. Alle Welt oder zumindest die Familie gibt Ralf die Schuld: Er habe die Familie vernachlässigt. "Hat er ja auch!" denkt Manni. Den Fehler mache er bei seiner neuen Partnerin nicht wieder, betont Ralf jetzt immer. Doch was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen. Die Familie isoliert Ralf. Zur Konfirmationsfeier ist er nicht eingeladen. Das könne er ja an "seinem" Wochenende mit Nine nachholen, hieß es. Als Ralf ihm das erzählte, hat Manni behauptet, von der Kirche könne ihn aber die Familie nicht ausschließen und hat sich mit ihm hier verabredet. "Leben die Christen nicht eigentlich von Vergebung?" überlegt Manni und schaut auf das Kreuz. Die Orgel spielt, die Konfirmanden ziehen ein, kein Ralf neben ihm. "Mein Gott, können Eltern nicht wenigstens um der Kinder willen mal die alten Sachen ruhen lassen!" Ein Stoßgebet à la Manni. Als die Gemeinde "Danke für alle guten Freunde, danke, oh Herr, für jedermann ..." singt, eine Hand auf Mannis Schulter, Ralf schiebt sich auf den Platz neben ihn. Er lächelt Manni an, wenn auch etwas angespannt, und flüstert ihm ins Ohr: "Danke!".