Ende eines Krimis: Borghorster Stiftskreuz zurück
Dienstag, 18.06.2024
2013 war das bedeutende Borghorster Stiftskreuz mitten am Tag aus einer gesicherten Glasvitrine in der St.-Nikomedes-Pfarrkirche gestohlen worden. Nach einer aufregenden Wiederbeschaffung wird es endlich auch wieder in die Nikomedeskirche zurückkehren.
INFO: (pbm/gun). Der Krimi um den dreisten Raub und die spektakuläre Rückkehr des Borghorster Stiftskreuzes ist vielen noch in Erinnerung. Am helllichten Tag war der bedeutende Kunstschatz Ende Oktober 2013 aus einer gesicherten Glasvitrine in der St.-Nikomedes-Pfarrkirche in Steinfurt-Borghorst gestohlen worden. Obwohl die Täter, drei Männer aus Bremen, im Oktober 2015 vom Landgericht Münster zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, blieb das Kreuz verschwunden. Erst im Februar 2017 wurde es an einen vom Bistum Münster beauftragten Rechtsanwalt in Bremen übergeben – und nach Münster gebracht. Nach langer Wartezeit soll es am Samstag, 22. Juni, endlich auch wieder zurück in die Nikomedeskirche kommen. Dazu wird auch Münsters Bischof Dr. Felix Genn erwartet: „Ich freue mich, dass dieses wunderbare, einzigartige und weithin bekannte Kreuz endlich nach Borghorst zurückkehrt, wo es für viele Menschen noch mal eine besondere, eine identitätsstiftende Bedeutung hat. Ich wünsche allen, die das Stiftskreuz an seinem neuen Ort in der renovierten und umgestalteten St.-Nikomedes-Pfarrkirche besuchen, einen Moment der Stille, aus dem sie Kraft schöpfen können.“
Im rechten Eingangsbereich ist durch die Planungen von Architekt Prof. Hannes Hermanns aus Kleve ein Ort der Anbetung entstanden. „Die neue Glasvitrine ist so platziert, dass das Kreuz sowohl im Inneren des Gebetsraumes als auch aus dem großen Kirchenraum zu sehen ist“, erklärt Martin Kaspar von der Kunstpflege des Bistums Münster. Mit zwei Klappen, vergleichbar mit Fensterläden, lässt sich die Vitrine zum Kirchenraum hin bei Bedarf schließen. Das Stiftskreuz wird als Vortragekreuz präsentiert, also auf einen Stab gesetzt. Zum Einsatz bei Gottesdiensten wird es nicht mehr kommen: „Dafür ist es zu wertvoll“, betont Kaspar und hebt vor allem die kunst- und kulturhistorische Bedeutung der seltenen Goldschmiedearbeit hervor. Das Kreuz soll in der Vitrine fest verankert werden und künftig nicht mehr so oft wie früher für Ausstellungen verliehen werden.
Das nur 40 Zentimeter hohe Borghorster Stiftskreuz gehört zu den bedeutendsten sakralen Kunstschätzen Europas aus der Zeit des 11. Jahrhunderts. Bis zum Diebstahl am 29. Oktober 2013 war das ottonisch-salische Kreuzreliquiar des ehemaligen Borghorster Kanonissenstiftes im Chorraum der Pfarrkirche in einer Glasvitrineausgestellt. Das Reliquienkreuz ist in dreierlei Hinsicht von besonderer Bedeutung: Es handelt sich um ein Kunstwerk, das in drei kostbaren Bergkristallobjekten 17 Reliquien – von Gläubigen verehrte Überreste von Heiligen – enthält. Kunsthistorisch ist das Kreuz eines der herausragenden Zeugnisse sakraler Kunst aus der Salierzeit und ein historisches Zeugnis des differenzierten Stiftungswesens des Mittelalters. Das Kreuz hat einen Holzkern und ist auf der Vorderseite mit einem dünnen Goldblech, auf der hinteren Seite mit vergoldetem Kupferblech verkleidet. Rein materiell betrachtet ist das Kreuz nach Aussage von Historikern verhältnismäßig wertlos. Daran ändern auch die als Verzierung eingesetzten Schmucksteine nichts. Für die Frömmigkeitsgeschichte der Christen, besonders für die Pfarrei St. Nikomedes, hat das Borghorster Kreuz hingegen eine große Bedeutung.
Entstanden ist das Kreuz nach Einschätzung von Experten um 1050, so dass Kaiser Heinrich III. Kreuz und Reliquien gestiftet hat. Möglicherweise entstand das Kreuz als Sühnestiftung Heinrichs, der 1048 in einen Konflikt mit dem sächsischen Adelsgeschlecht der Billunger geraten war, die Borghorst gegründet hatten. Als Gegenleistung für wertvolle Gaben erhofften sich die Menschen damals ihr Seelenheil. Die Pracht des Kreuzes zeugt vom Willen der Stifter, ein außergewöhnliches Zeichen zu setzen.
Das Kreuz wurde vermutlich in Essen, wahrscheinlich in der Goldschmiedewerkstatt der Essener Äbtissin Theophanu gefertigt, wie durch Analyse von Pollen nachgewiesen wurde, die im Bienenwachs zwischen Holzkern und Goldblechen gefunden wurden. Auf Essen deutet auch die Darstellung der Essener Stiftspatrone Cosmas und Damian auf der Vorderseite des Kreuzes.
In den Längsbalken sind drei Bergkristalle, darunter zwei orientalische Fläschchen aus dem 10. Jahrhundert als Reliquienbehälter eingelassen, die von beiden Seiten sichtbar sind. Die Vorderseite ist mit kostbaren Steinen besetzt. Die Reliefs zeigen im oberen Kreuzstamm über der Ampulle mit den Hauptreliquien die Kreuzigung. Rechts und links daneben auf dem Querbalken befinden sich Reliefs der Heiligen Petrus, Paulus, Cosmas und Damian. Unter dem zentralen Reliquienbehältnis auf dem Kreuzstamm ist eine Halbfigur dargestellt, die einen gekrönten Herrscher zeigt, der in Bittgeste die Hände erhoben hat und dem von oben zwei Engel entgegenschweben. Der Herrscher ist durch eine Umschrift HEINRICUS IPR als Kaiser Heinrich III. zu erkennen.
Die Rückseite ist einfacher gestaltet. Auf ihr ist eine Umschrift eingraviert, die die enthaltenen Reliquien aufzählt und die als Reliquien versammelten Heiligen um Beistand für die Äbtissin und für alle, die für das Kreuz Gutes getan haben, bittet. Unter der Kristallflasche mit den Hauptreliquien ist die Gestalt einer betenden Äbtissin, die von der Hand Gottes gesegnet wird, eingraviert. Die Beischrift BERTHA ABBA erlaubt die Identifikation mit der dritten Äbtissin des Stifts Borghorst. Das alles können die Besucher der St.-Nikomedes-Pfarrkirche bald wieder im Original in den Blick nehmen. Wenn das Borghorster Stiftskreuz nach elf Jahren zurück sein wird.
Der Gottesdienst zur Rückkehr des Stiftskreuzes und zur Öffnung der Nikomedeskirche nach dem Umbau wird am 22. Juni ab 17 Uhr auf www.bistum-muenster.de live gestreamt.