Mahnender Mühlstein in Münster

von Christof Beckmann

Freitag, 28.09.2018

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Mahnmal: Der „Mahnende Mühlstein“ wurde als Symbol gegen Kindesmissbrauch vom Initiator Johannes Heibel im Schatten des St.-Paulus-Domes enthüllt. (Foto: Bistum Münster)

Gestern Abend ging sie zu Ende, die Vollversammlung der katholischen Bischöfe in Fulda. Mit dramatischen Zahlen zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in der Kirche. Eine tonnenschwere Aktion in Münster ist so etwas wie ein gewichtiger Kommentar ...

INFO: In einer Feierstunde ist am Mittwoch (26.09.) am Münsteraner St.-Paulus-Dom die Skulptur „Mahnender Mühlstein“ enthüllt worden, die an die Opfer sexuellen Missbrauchs im Raum der Kirche erinnern soll. Der 800 Kilogramm schwere Mühlstein aus Quarzit hat einen Durchmesser von 1,40 Metern liegt auf dem am Horsteberg vor der Kreuzigungsgruppe am Dom und trägt eine Inschrift aus dem Matthäus-Evangelium: „Wer aber einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.“ Initiator ist Johannes Heibel, Vorsitzender der bundesweit tätigen „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e.V.“, Domvikar Dr. Jochen Reidegeld holte die Aktion ins Bistum Münster. „Der Mühlstein ist eine drastische Mahnung, und sie ist auch notwendig, gerade für uns in der katholischen Kirche“, machte der emeritierte Weihbischof Dieter Geerlings deutlich. Die Mahnung laute, immer wieder neu zu den Idealen des Evangeliums zurückzukehren, durch das sich die Wertschätzung Jesu für die Kinder wie ein roter Faden ziehe. „Den Blick auf die Opfer zu haben, das ist der Blick Jesu“, so Geerlings. In der Vergangenheit sei bei zu vielen Verantwortlichen die Sorge um den Ruf der Kirche wichtiger gewesen als die Sorge um die Opfer.
Münster soll die letzte Station auf dem Weg des Mühlsteins sein, der in den vergangenen zehn Jahren schon an anderen Orten in Deutschland zu sehen gewesen war. Im kommenden Jahr will Initiator Heibel den Stein gerne Papst Franziskus zum Geschenk machen und hofft dabei auf die Unterstützung des Bistums Münster. Gleichzeitig wird ab heute mit derselben Intention im Domkreuzgang die aus rostendem Eisen hergestellte Plastik „Der Fluch“ gezeigt, deren Idee auf den Künstler Stephan Balkenhol zurückgeht und die ebenfalls auf das Leid von Missbrauchsopfern aufmerksam machen soll. Die Kunstwerke werden etwa einen Monat lang zu sehen sein.

Mahnender Mühlstein: Der Mühlstein ist seit Mitte 2008 deutschlandweit auf Reisen und will ein Zeichen gegen die Verletzung der Würde und Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen setzen. Mit der künstlerischen Gestaltung, Transport und Aufstellung, unterstützt die Steinmetzwerkstatt Bruno Johannes Harich in Neunkirchen-Eischeid die bundesweite „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kinder und Jugendlichen e.V.”.
Kontakt: Steinmetzwerkstatt Bruno Johannes Harich GmbH, Zum Nüchel 17, 53819 Neunkirchen-Eischeid, Tel. 02247 / 23 86, kontakt@steinmetzwerkstatt-harich.de, Internet: http://www.steinmetzwerkstatt-harich.de/muehlstein.php

Unsere Gesprächspartner:

Johannes Heibel, Dipl. Sozialpädagoge (FH), ist Vorsitzender der „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e.V.“. Die 1992 in der Verbandsgemeinde Wirges im Westerwald als Elterninitiative gegründete Aktion wurde 1993 als gemeinnützig anerkannten Verein eingetragen. Sie berät und begleitet Betroffene und deren Vertrauenspersonen, unterstützt, falls notwendig, Betroffene auch finanziell und bietet Fortbildungsveranstaltungen für ErzieherInnen, LehrerInnen und GruppenleiterInnen. Telefonische Beratung ist auch anonym möglich. Kontakt: Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e.V., Poststraße 18, 56427 Siershahn, Tel. + Fax 02623 / 68 39, E-Mail: info@initiative-gegen-gewalt.de, Internet: www.initiative-gegen-gewalt.de.

Dr. Jochen Reidegeld aus Greven arbeitete nach der Priesterweihe 1996 als Kaplan nach St. Vitus in Olfen und ab 2000 in St. Laurentius/Senden. Nach einem Urlaub auf Sri Lanka, bei dem man ihm Minderjährige für sexuelle Dienstleistungen anbot, gründete er 1999 den Verein roterkeil.net, der als Netzwerk mit vielen Prominenten gegen den organisierten Kindesmissbrauch tätig ist (Kontakt zum Koordinationsbüro: E-Mail office@roterkeil.net, Tel. 02592 / 9183366). Seit 2010 ist Reidegeld stellvertretender Generalvikar des Bistums Münster, Leiter der Hauptabteilung Zentrale Aufgaben und der Abteilung Orden, Säkularinstitute, Geistliche Gemeinschaften, von 2010 bis 2013 war er zudem Diözesanbeauftragter für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Kontakt: Domplatz 27, 48143 Münster, Tel. 0251 / 495-17000, E-Mail: reidegeld@bistum-muenster.de, Internet: www.bistum-muenster.de

Die vollständige Bibelstelle aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 18, Vers 6:
Warnung vor der Verführung zum Bösen: „6 Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde. 7 Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Es muss zwar Ärgernisse geben; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt! 8 Wenn dir deine Hand oder dein Fuß Ärgernis gibt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Es ist besser für dich, verstümmelt oder lahm in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen und zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden. 9 Und wenn dir dein Auge Ärgernis gibt, dann reiß es aus! Es ist besser für dich, einäugig in das Leben zu kommen, als mit zwei Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden. 10 Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“

Beschuldigte und Opfer in NRW: Die bundesweiten Ergebnisse der Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz wurden am Dienstag in Fulda vorgestellt. Für die Untersuchung wurden von einem Forschungskonsortium der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen (MGH) danach Personal- und Handakten von 38.156 Klerikern der 27 Diözesen aus den Jahren 1946 bis 2014 durchgesehen, bundesweit wurden 3.677 Kinder und Jugendliche in diesem Zeitraum Opfer von sexuellem Missbrauch. Bei 1.670 Klerikern (4,4 Prozent) gab es Hinweise auf Beschuldigungen, Minderjährige missbraucht zu haben. Die Dunkelziffer sei aber höher, betonten die Wissenschaftler. Die fünf nordrhein-westfälischen Bistümer gaben rund 440 Beschuldigte und etwa 780 Betroffene an: So recherchierte das Erzbistum Köln 135 Betroffene und 87 beschuldigte Geistliche, das Erzbistum Paderborn über 197 Betroffene und 111 beschuldigte Kleriker, das Bistum Münster nannte 126 Beschuldigte und 450 Betroffene, darunter aber auch eine unbekannte Zahl von Opfern aus dem niedersächsischen Teil der Diözese. Das Bistum Essen kommt seit seiner Gründung 1958 auf 85 Opfer von sexuellen Übergriffen und 60 beschuldigte Kleriker. Die Diözese Aachen meldete 86 Betroffene und 55 beschuldigte Geistliche in dem von ihr erweiterten Untersuchungszeitraum 1934 bis 2016.
10 der 27 Diözesen hatten die Forscher der MHG-Studie für eine Langzeituntersuchung aller Personalakten von Priestern und Diakonen zwischen den Jahren 1946 und 2015 ausgewählt, darunter Paderborn und Essen. In den 17 anderen Bistümern - darunter Aachen, Münster und Köln - umfasst der Untersuchungszeitraum die Jahre 2000 bis 2015. Zusätzlich flossen bereits bekannte Fälle aus den Jahren 1946 bis 2015 in die Untersuchung ein.

Mehr Informationen zum Thema Missbrauch s. „Augenblick mal“ von Dienstag, 24.9.2018

Die vollständige Studie zum Download, die Zahlen aus den einzelnen Bistümern, zur Themenseite Missbrauch auf www.Katholisch.de. Weitere Informationen der Deutschen Bischofskonferenz für Betroffene von sexuellem Missbrauch und ihre Angehörige, Leitportal Prävention in der Katholischen Kirche in Deutschland

IM WORTLAUT:

Die gestern vorgelegte Erklärung der deutschen Bischöfe
 zu den Ergebnissen der Studie
„Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ anlässlich der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda 27. September 2018 hier im Wortlaut:

„Der Schwerpunkt unserer Beratungen während der Herbst-Vollversammlung lag auf den Inhalten der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (MHG-Studie). Die schockierenden Ergebnisse zeigen uns Bischöfen die Verantwortung zu verstärktem Handeln und die Pflicht, den Betroffenen Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Sie zeigen auch institutionelles Versagen. Wir Bischöfe stellen uns dem Ernst der Stunde.

Die Empfehlungen des Forschungskonsortiums der Studie machen wir zur Grundlage unseres weiteren Handelns. Manche der Empfehlungen bedürfen längerer Klärungsprozesse, aber schon jetzt verpflichten wir uns zu folgenden Schritten, die wir zeitnah umsetzen:

  • Wir werden mehr als bisher die Begegnung mit den Betroffenen suchen. Für die Aufarbeitungsprozesse, die wir in den Bistümern angehen wollen, brauchen wir die Hilfe der Betroffenen sowie externer Fachleute. 

  • Wir erarbeiten eine Standardisierung in der Führung der Personalakten der Kleriker. 

  • Wir werden zu den diözesanen Ansprechpersonen für Fragen sexuellen Missbrauchs 
zusätzlich externe, unabhängige Anlaufstellen anbieten. 

  • Darüber hinaus wird ein verbindliches überdiözesanes Monitoring für die Bereiche der Intervention und der Prävention eingerichtet. 

  • Das Verfahren zu Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids wird aufgrund der Studie sowie der Erfahrungen der vergangenen Jahre fortentwickelt. 

  • Ohne eine unabhängige Aufarbeitung gibt es keine wirksame Veränderung und Gerechtigkeit. Wir wollen klären, wer über die Täter hinaus Verantwortung institutionell für das Missbrauchsgeschehen in unserer Kirche getragen hat. 

  • Die für die katholische Kirche spezifischen Herausforderungen wie die Fragen nach der zölibatären Lebensform der Priester und nach verschiedenen Aspekten der katholischen Sexualmoral werden wir unter Beteiligung von Fachleuten verschiedener Disziplinen in einem transparenten Gesprächsprozess erörtern. 



Wir werden kontinuierlich berichten, wie wir mit unseren Vorhaben vorankommen. Ausdrücklich soll der weitere Weg gemeinsam mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs, externen Fachleuten und Vertretern unserer Laiengremien, besonders des Zentralkomitees der deutschen Katholiken erfolgen. 


Wir sind dankbar für die Beratungen der vergangenen Tage und die Hilfe der Wissenschaftler, des Projektbeirates und vieler anderer, die uns durch ihre kritischen Fragen geholfen haben. Papst Franziskus werden wir über diese Gespräche berichten. Ihm stimmen wir zu, dass alle Selbstherrlichkeit von Amtsträgern der Kirche überwunden werden muss. Nötig ist ein neues Miteinander in der Kirche.“

► Der Pressebericht von Kardinal Reinhard Marx, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, aus der Abschlusspressekonferenz der Herbst-Vollversammlung in Fulda zum DOWNLOAD

 

Freitag, 28.09.2018