Niederlage oder Befreiung?
Freitag, 08.05.2015
Am 8. Mai 1945 – also heute vor 70 Jahren - endete der Zweite Weltkrieg. Das nationalsozialistische Deutschland kapitulierte. War das eine Niederlage oder eine Befreiung?
Wegen der offensichtlichen Vielschichtigkeit musste der 8. Mai 1945 in seiner möglichen Bewertung durch die Miterlebenden und Nachgeborenen umstritten bleiben. In der Nachkriegszeit konnte die Beurteilung dessen, was auf den Zusammenbruch folgte, niemals eindeutig ausfallen. Für die einen blieb eine „Niederlage“, was für die anderen „Befreiung“
war. Der eine dachte an Flucht, Vertreibung, Gefangenschaft und Teilung, der andere an die Rettung seines Lebens, an die Befreiung aus der Haft oder aus dem KZ, an die Befreiung von der nationalsozialistischen Willkür und von dem Terror der letzten Kriegswochen.
Jahrzehnte blieb so die Ambivalenz spürbar, die das Kriegsende für die Menschen in ihrer großen Unterschiedlichkeit bedeutete.
Erst die berühmte Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 1985 änderte das. Sie prägte nachdrücklich den Begriff der Befreiung von der NS-Herrschaft als Kern des Gedenkens. Der Bundespräsident forderte auf, Vergangenheit nicht nur aus der eigenen Perspektive, sondern mit den Augen des anderen, des leidenden Zeitgenossen ebenso wie mit den Augen europäischer Gesellschaften zu sehen.
Die Rede lud ein, sich die eigenen Erfahrungen zu vergegenwärtigen, ohne die Erfahrungen anderer zu relativieren. Das versöhnte die meisten Zuhörer. Sie fanden sich in dieser Rede wieder. Hier ein Zitat aus der Rede, das auch 30 Jahre später noch aktuell ist.
"Wenn wir uns erinnern, wie rassisch, religiös und politisch Verfolgte, die vom sicheren Tod bedroht waren, oft vor geschlossenen Grenzen anderer Staaten standen, werden wir vor denen, die heute wirklich verfolgt sind und bei uns Schutz suchen, die Tür nicht verschließen."
Hier finden Sie die Rede im Wortlaut