Rassismus ist ein Gift
Freitag, 21.02.2020
Nach dem Terroranschlag in der Nacht zum 20. Februar in Hanau scheint nach Angaben des Generalbundesanwalts inzwischen sicher, dass die Tat aus rechtsextremistischen und rassistischen Motiven begangen wurde. In NRW ist heute Trauerbeflaggung angeordnet.
INFO: Bei einem Terroranschlag in der Nacht zum 20. Februar wurden in Hanau neun Menschen zwischen 21 und 44 Jahren ermordet und zahlreiche weitere Opfer teils schwer verletzt. In der Wohnung des mutmaßlichen Täters wurden er selbst und seine 72-jährige Mutter mit Schussverletzungen tot aufgefunden. Es scheint inzwischen sicher, dass die Tat aus rechtsextremistischen und rassistischen Motiven begangen wurde. (Mitteilung des Generalbundesanwalts) Videos und ein 24-seitiger Brief mit kruden Verschwörungstheorien weisen darauf hin, auch wenn die Ermittlungen zu den Hintergründen erst aufgenommen sind.
Zahlreiche Stellungnahmen hatten das Verbrechen und den Tod Unschuldiger seit dem Morgen des 20.2. verurteilt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich schockiert: „Ich stehe an der Seite aller Menschen, die durch rassistischen Hass bedroht werden. Sie sind nicht allein. Ich bin überzeugt: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland verurteilt diese Tat und jede Form von Rassismus, Hass und Gewalt. Wir werden nicht nachlassen, für das friedliche Miteinander in unserem Land einzustehen.“ Er reiste im Tagesverlauf nach Hanau und nahm dort um 18 Uhr an einer Mahnwache teilnehmen.
Der Anschlag von Hanau sei Resultat eines „vergifteten gesellschaftlichen Klimas“, erklärte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Solche „Wahnsinnstaten geschehen nicht im luftleeren Raum“, sagte er, sie „wachsen in einem vergifteten gesellschaftlichen Klima, in dem auf übelste Weise Fremdenfeindlichkeit und abwegigste Verschwörungstheorien geschürt werden, bis Minderheiten als Bedrohung empfunden werden und Diskriminierung in zügellosen Hass umkippt“. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte am Mittag: „Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift. Dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft und es ist schuld an schon viel zu vielen Verbrechen. Von den Untaten des NSU über den Mord an Walter Lübcke bis zu den Morden von Halle.“
Die tödliche Gewalttat überschattete den Tag: Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg trugen in der Europa-League Trauerflor. Zum Beginn des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht wurden an mehreren Orten Veranstaltungen abgesagt oder mit einer Zeit des Innehaltens begonnen. NRW-Innenminister Herbert Reul ordnete für den 20. und 21. Februar wegen des Attentates von Hanau Trauerbeflaggung an. Die Anordnung des Ministers gilt für alle Dienstgebäude des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der übrigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterliegen. Zudem wurden Sicherheitsmaßnahmen für Muslime verstärkt: Die Polizei gehe dort auf Streife, wo sich vor allem muslimische Mitbürger aufhielten, erklärte Reul. Konkret nannte er die landesweit 900 Moscheen während des Freitagsgebets. Zudem sollen die zuständigen
Kontaktbeamten der Polizei den Moscheegemeinden unmittelbar Rat und Hilfe anbieten.
Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) erklärte, Tatorte und Bekennerschreiben zeigten, „dass der Terror eine bestimmte Zielgruppe hatte, nämlich Migranten, insbesondere Muslime“. Mehrere der Getöteten sind den Angaben zufolge Kurden. Der kurdische Dachverband in Deutschland KON-MED äußerte sich „wütend“, weil die politischen Verantwortlichen sich rechten Netzwerken und Rechtsterrorismus nicht entschieden entgegenstellten.
Nach der Gewalttat von Hanau bekundeten die katholischen Bischöfe ihre Trauer und Solidarität mit Opfern und Angehörigen. Die Tat mache ihn „fassungslos“, erklärte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Zugleich kritisierte er „eine Tendenz zu einem ausgrenzenden und aggressiven Nationalismus und Rassismus“, der aus christlicher Perspektive durch nichts zu rechtfertigen sei. Immer wieder gebe es „hasserfüllte und menschenverachtende Taten, bei denen sich ein rechtsextremistischer Hintergrund herausstellt“, betonte der Münchner Erzbischof. Dabei erklärten sich „Menschen, die zu Tätern werden, selbst zu vermeintlichen Verteidigern unserer Gesellschaft und unseres Landes“. Nicht selten seien sie „angestachelt von bösartigen Parolen in sozialen Medien oder am Stammtisch.“ Gegen diese „Tendenz zu einem ausgrenzenden und aggressiven Nationalismus und Rassismus“ setze die Mehrheit im Land „weiterhin und unermüdlich Zeichen der Hoffnung, des Friedens und des Zusammenhalts“! Wörtlich ergänzte Marx: „Als Christen glauben wir, dass alle Menschen - gleich welcher Religion, Nation, Kultur oder Sprache - Kinder Gottes sind. Deshalb stehen wir mit allen Menschen gemeinsam ein gegen Gewalt und Terror.“ Das fange bereits im Kleinen an, etwa „im Widerspruch gegen rechtspopulistische und gewalttätige Äußerungen im Netz und auch im direkten Gegenüber mit Menschen, die christliche Werte von Nächstenliebe und Solidarität für ihre Zwecke missbrauchen.“ -> Erklärung im Wortlaut
Der Essener Pfarrer Gereon Alter wird sich am Samstag in der ARD tagesaktuell zum Anschlag in Hanau äußern, Pfarrer Alter, der seit 2010 als Sprecher dem Wort-zum-Sonntag-Team angehört, wollte „ursprünglich über den Karneval sprechen und über die Freude, die Gott an einem lebendigen Menschen hat“, heißt es in einer Mitteilung des Bistums Essen. Nun werde es um das Leid der Opfer, um die Trauer und Wut, gegebenenfalls auch um die Konsequenzen gehen, die ein solche grausamer Anschlag haben müsse. Der Beitrag wird am Samstagabend nach den Tagesthemen im Ersten zu sehen sein, voraussichtlich um 23:35 Uhr, und vorab bereits ab 18:00 Uhr unter www.daserste.de/wort.