Sankt Martinus Superstar

von Christof Beckmann

Freitag, 11.11.2016

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Spielszene mit Wiener Burgschauspieler Peter Matic, Foto: Tellux/Metafilm

Wieviel Martin braucht Europa im 21. Jahrhundert? Das hat sich Regisseur Fritz Kalteis gefragt, der für seinen aktuellen Film zum 1700. Geburtstag des mantelteilenden Menschenfreunds und späteren Bischofs Martin von Tours in vielen Ländern unterwegs war.

INFO: Martin von Tours, geboren um 316/17 in Sabaria (heute Szombathely) im heutigen Ungarn, war Soldat, Priester, Einsiedler und Bischof. Er trat als 15-Jähriger in Pavia in die römische Armee ein und gehörte zu einer in Gallien eingesetzten Eliteeinheit. Der Legende nach spielte sich 334 in Amiens jene Szene ab, die alljährlich bei den Martinszügen eine Rolle spielt: In einem strengen Winter begegnete er einem armen, unbekleideten Bettler, der um Hilfe bat. Martin teilte mit dem Schwert seinen Mantel und gab dem Frierenden eine Hälfte. In der Nacht sah er im Traum Christus bekleidet mit dem Mantelstück und Martin ließ sich taufen. Er wurde Priester, zog sich als Einsiedler zurück, gründete 361 mit dem Kloster Ligugé das erste Kloster im westlichen Abendland und wurde 371 vom Volk zum Bischof von Tours ausgerufen. Damit verbunden ist die Erzählung, dass Martin sich in einem Gänsestall versteckte, um so diesem Amt zu entgehen. Doch das Geschnatter des Federviehs verriet ihn.

Martin, der 397 starb, hinterließ nachhaltigen Eindruck: Frankenkönig Chlodwig machte ihn gut 100 Jahre nach dessen Tod zum „Nationalheiligen“ des Reiches. Martin ist der erste Heilige der Kirche überhaupt, der kein Märtyrer ist. Er ist Schutzpatron Frankreichs und der Slowakei, Landespatron des Burgenlandes in Österreich, Patron der Bistümer Mainz und Rottenburg-Stuttgart sowie tausendfacher Namensgeber für Kirchen und Klöster weltweit. Katholiken verehren ihn ebenso wie Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und armenische Christen.

Sein Gedenktag, der Martinstag am 11. November, galt früher als Winteranfang und Tag der Zins- und Pachtzahlungen. Zu den fälligen Naturalabgaben gehörte auch die Martinsgans als Höhepunkt eines üppigen Festtagsessens. In Gallien und auch in den Klöstern begann früher mit dem Martinstag die Adventszeit, die damals sechs Wochen dauerte und als Bußzeit mit dem Verzicht auf Fleischspeisen verbunden war. Somit bot sich der Vorabend des Martinstages an, noch einmal richtig zuzulangen und zu feiern: den 11.11. als Karnevalsbeginn, an dem heutzutage „Prinz Karneval“ proklamiert wird.

Europäischer Martinsweg: Europäische Martinswege gehen inzwischen durch Frankreich, Ungarn, Italien, England, Kroatien und Slowenien. Denn seit einigen Jahren entsteht auf Initiative des Europarats ein europäisches Netz von Pilgerwegen, die ähnlich wie die Jakobswege nach Santiago de Compostela in Nordspanien durch ganz Europa führen, an den populären Heiligen der Mantelteilung erinnern wollen und seinen Geburtsort im heute ungarischen Szombathely (Steinamanger) mit dem französischen Tours verbinden. Die Hauptroute der „Via sancti Martini“ verläuft von Ungarn aus nach Slowenien, über Venedig nach Mailand, durchs Aosta-Tal und überquert beim Kleinen Sankt Bernhard die Alpen Richtung Lyon und endet der Weg in Tours. Die Route berührt damit eine Reihe von Orten, an denen Martin laut historisch gut gesicherten Erkenntnissen auch gewesen ist.
Ein zweiter Weg durch Österreich, Deutschland, Luxemburg und Frankreich wird Mittelroute genannt. Für die Strecke durch die Bistümer Freiburg, Speyer, Mainz und Trier wird Mitte November wird das letzte durch Deutschland führende Teilstück zwischen Trier und Luxemburg eröffnet. Bei allen Festen wird als Symbol ein Martinusmantel von Diözese zu Diözese weitergereicht.
Hinzu kommen zwei weitere Routen: Die eine führt in Süd-Nord-Richtung vom spanischen Saragossa durch die Pyrenäen nach Tours, die andere verbindet als Nord-Süd-Tour das niederländische Utrecht mit der Stadt an der Loire. Erkennbar sind alle Wege an bordeauxroten Tafeln mit einem gelben Kreuz und dem Signet des Europarates. Das Wegenetz umfasst rund 2.500 Kilometer.
Infos: www.saintmartindetours.eu, www.martinuswege.eu, http://culture-routes.net/routes/the-saint-martin-of-tours-route, http://www.vianovis.net/martinusweg/datagis/pdf/karte-via-sancti-martini-21-mars-2015.pdf

Der Film: Sankt Martin – Soldat, Asket, Menschenfreund
Regisseur Fritz Kalteis zeigt in seinem Doku-Drama „Sankt Martin – Soldat, Asket, Menschenfreund“ (ARTE/ORF/BR), dass Martin von Tours wie kaum eine andere Persönlichkeit das europäische Geistesleben beeinflusst hat. Er ist keine Biographie im herkömmlichen Sinn, sondern untersucht die Konstruktion eines Heiligen neuen Typs an einem historischen Wendepunkt als das Christentum im vierten Jahrhundert von einer Splittergruppe zur Staatsreligion wird. Als Mann mit Mission wird er jenseits aller Legenden als historische Figur in den Kontext der Zeit gestellt. Gezeigt wird in spielfilmischen und dokumentarischen Elementen ein vom Christentum bewegter Soldat, der gegen alle Widerstände eine geistliche Laufbahn einschlägt, zum Pionier des westlichen Mönchstums wird, zum zielstrebigen Verfechter seiner Überzeugungen gegen Kaiser und Klerus und letztendlich zum ersten Heiligen der Christenheit, der nicht als Märtyrer stirbt. Gedreht an Originalschauplätzen in Martins Geburtsort Szombathely, in Ligugé, Tours und Trier, spürt das Doku-Drama dem Vermächtnis Martins und dessen Bedeutung in der Gegenwart nach. Dabei werden die Lebensphasen des älteren Martinus ab seiner Ernennung zum Bischof auch in seinem bedeutenden kirchen- und gesellschaftspolitischen, brückenbauenden Wirken beleuchtet.
In den Spielszenen treten der Wiener Burgschauspieler Peter Matic und sein Sohn Paul in der Rolle des Martin auf. Die Zuschauer begleiten die Pilgerreise des 40-jährigen Advokaten Severus Sulpicius, der sich im Jahr 394 nach Tours zum berühmten Bischof Martin aufmacht, zum Zuhörer und schließlich zum ersten Biographen seines bewegten Lebens wird.

SENDEZEITEN:
TV-Erstausstrahlung am 5.11.2016 um 20.15Uhr auf ARTE, Weitere Termine: 8.11.2016 um 22.30 Uhr auf ORF2, 9.11.2016 um 20.15 Uhr auf ORF3
Drehbuch & Regie: Fritz Kalteis, Produktion: Tellux Film GmbH, Metafilm GmbH, Dreihausgasse 9/H.2 A-1150 Wien; Deutschland 2016, 52 Min., Produzent/en: Martin Choroba, Michael Cencig; Redaktion: BR / ARTE: Monika Lobkowicz; ARD-Alpha: Werner Reuss, Martin Posselt; ORF: Christoph Guggenberger

BUCHHINWEIS:
Judith Rosen: Martin von Tours. Der barmherzige Heilige, Verlag Philipp von Zabern – WBG, 2016, 280 Seiten, Preis: 29,95 Euro, ISBN: 9783805350242.
Pünktlich zum 1700. Geburtstag des wohl mit populärsten Heiligen der Kirche hat die Bonner Autorin Judith Rosen ein auf breiter Quellenbasis beruhendes, anschauliches Portrait dieser zentralen Figur des spätantiken Christentums und seiner Zeit gezeichnet. Die Lehrbeauftragte für Alte Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn legte im Verlag Philipp von Zabern eine 280 Seiten starke Biographie vor, die am Bespiel von Martins Leben den Aufbruch der Kirche in Gallien und die Spannungen zwischen Kirche und Staat fundiert und gut verständlich schildert. Dazu hat sie die Vita Martini, drei Briefe und drei Dialoge von Sulpicius Severus, dem Zeitgenossen und Bewunderer des dritten Bischofs von Tours, herangezogen. Judith Rosen stellt sie in die geschichtlichen Zusammenhänge der Zeit und ordnet sie kritisch ein. Die mit zwölf Illustrationen, zwei Karten und einem Register ausgestattete Arbeit machen das Buch über den „Barmherzigen Heiligen“ – nicht nur für Spezialisten – sehr lesenswert.

Freitag, 11.11.2016