St. Martin und die Martinstradition

von Stefan Klinkhammer

Mittwoch, 08.11.2017

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Bild: Heinrich Hermanns, Sankt-Martins-Zug vor dem Düsseldorfer Rathaus 1905

Seit Wochen wird schon fleißig gebastelt und singen geübt, alles für diesen einen Tag: am Samstag ist St. Martin. Dabei sind die Martinsumzüge noch gar nicht so alt: vor genau 150 Jahren sind sie am Niederrhein in ihrer jetzigen Form entstanden...

INFO: In vielen Regionen Deutschlands ist bis heute das Brauchtum zum um den Hl. Martin von Tours verbreitet, der heute im Jahr 397 - vor 1.620 Jahren - gestorben ist: Dazu gehören Martinszüge mit Pferd und Laternen, Verteilung von Süßigkeiten, Gänsebraten. Jetzt haben René H.R. Bongartz und Initiator Jeya Caniceus am 15. Oktober nach fast sechsmonatigen Vorbereitungen die Bewerbung zur Anerkennung der rheinischen Martinstradition als immaterielles Kulturerbe beim nordrhein-westfälischen Ministerium für Kultur und Wissenschaft eingereicht. Zuvor hatten sie Mitte September bei einem großen Koordinations- und Infotreffen mehr als 200 Personen von Martinsvereinen und -komitees zwischen Rhein und Maas in Brüggen-Bracht versammelt. Bis zu einer möglichen Anerkennung als immaterielles Kulturerbe wird es nun bis weit in die zweite Jahreshälfte 2018 dauern. Für einen Erfolg des Unesco-Antrags musste das Brauchtum möglichst gut dokumentiert sein. Dazu gibt es alle Informationen auf der Internetseite: http://www.martinstradition.de.

Martin von Tours, geboren um 316/17 in Sabaria (heute Szombathely) im heutigen Ungarn, war Soldat, Priester, Einsiedler und Bischof. Er trat als 15-Jähriger in Pavia in die römische Armee ein und gehörte zu einer in Gallien eingesetzten Eliteeinheit. Der Legende nach spielte sich 334 in Amiens jene Szene ab, die alljährlich bei den Martinszügen eine Rolle spielt: In einem strengen Winter begegnete er einem armen, unbekleideten Bettler, der um Hilfe bat. Martin teilte mit dem Schwert seinen Mantel und gab dem Frierenden eine Hälfte. In der Nacht sah er im Traum Christus bekleidet mit dem Mantelstück und Martin ließ sich taufen. Er wurde Priester, zog sich als Einsiedler zurück, gründete 361 mit dem Kloster Ligugé das erste Kloster im westlichen Abendland und wurde 371 vom Volk zum Bischof von Tours ausgerufen. Damit verbunden ist die Erzählung, dass Martin sich in einem Gänsestall versteckte, um so diesem Amt zu entgehen. Doch das Geschnatter des Federviehs – so die Legende - verriet ihn.
Martin, der 397 starb, hinterließ nachhaltigen Eindruck: Frankenkönig Chlodwig machte ihn gut 100 Jahre nach dessen Tod zum „Nationalheiligen“ des Reiches. Martin ist der erste Heilige der Kirche überhaupt, der kein Märtyrer ist. Er ist Schutzpatron Frankreichs und der Slowakei, Landespatron des Burgenlandes in Österreich, Patron der Bistümer Mainz und Rottenburg-Stuttgart sowie tausendfacher Namensgeber für Kirchen und Klöster weltweit. Katholiken verehren ihn ebenso wie Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und armenische Christen. Sein Gedenktag, der Martinstag am 11. November, galt früher als Winteranfang und Tag der Zins- und Pachtzahlungen. Zu den fälligen Naturalabgaben gehörte auch die Martinsgans als Höhepunkt eines üppigen Festtagsessens. In Gallien und auch in den Klöstern begann früher mit dem Martinstag die Adventszeit, die damals sechs Wochen dauerte und als Bußzeit mit dem Verzicht auf Fleischspeisen verbunden war. Somit bot sich der Vorabend des Martinstages an, noch einmal richtig zuzulangen und zu feiern: den 11.11. als Karnevalsbeginn, an dem heutzutage „Prinz Karneval“ proklamiert wird.

Europäischer Martinsweg: Europäische Martinswege gehen inzwischen durch Frankreich, Ungarn, Italien, England, Kroatien und Slowenien. Denn seit einigen Jahren entsteht auf Initiative des Europarats ein europäisches Netz von Pilgerwegen, die ähnlich wie die Jakobswege nach Santiago de Compostela in Nordspanien durch ganz Europa führen, an den populären Heiligen der Mantelteilung erinnern wollen und seinen Geburtsort im heute ungarischen Szombathely (Steinamanger) mit dem französischen Tours verbinden. Die Hauptroute der „Via sancti Martini“ verläuft von Ungarn aus nach Slowenien, über Venedig nach Mailand, durchs Aosta-Tal und überquert beim Kleinen Sankt Bernhard die Alpen Richtung Lyon und endet der Weg in Tours. Die Route berührt damit eine Reihe von Orten, an denen Martin laut historisch gut gesicherten Erkenntnissen auch gewesen ist.
Ein zweiter Weg durch Österreich, Deutschland, Luxemburg und Frankreich wird Mittelroute genannt. Für die Strecke durch die Bistümer Freiburg, Speyer, Mainz und Trier wurde im November 2016 wird das letzte durch Deutschland führende Teilstück zwischen Trier und Luxemburg eröffnet. Hinzu kommen zwei weitere Routen: Die eine führt in Süd-Nord-Richtung vom spanischen Saragossa durch die Pyrenäen nach Tours, die andere verbindet als Nord-Süd-Tour das niederländische Utrecht mit der Stadt an der Loire. Erkennbar sind alle Wege an bordeauxroten Tafeln mit einem gelben Kreuz und dem Signet des Europarates. Das Wegenetz umfasst rund 2.500 Kilometer. Infos: www.saintmartindetours.eu, www.martinuswege.eu, http://culture-routes.net/routes/the-saint-martin-of-tours-route, http://www.vianovis.net/martinusweg/datagis/pdf/karte-via-sancti-martini-21-mars-2015.pdf

BUCHHINWEIS: Judith Rosen, Martin von Tours. Der barmherzige Heilige, Verlag Philipp von Zabern – WBG, 2016, 280 Seiten, Preis: 29,95 Euro, ISBN: 9783805350242. Pünktlich zum 1700. Geburtstag im Jahr 2016 hat die Bonner Autorin Judith Rosen ein auf breiter Quellenbasis beruhendes, anschauliches Portrait dieser zentralen Figur des spätantiken Christentums und seiner Zeit gezeichnet. Die Lehrbeauftragte für Alte Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn legte im Verlag Philipp von Zabern eine 280 Seiten starke Biographie vor, die am Beispiel von Martins Leben den Aufbruch der Kirche in Gallien und die Spannungen zwischen Kirche und Staat fundiert und gut verständlich schildert. Dazu hat sie die Vita Martini, drei Briefe und drei Dialoge von Sulpicius Severus, dem Zeitgenossen und Bewunderer des dritten Bischofs von Tours, herangezogen. Judith Rosen stellt sie in die geschichtlichen Zusammenhänge der Zeit und ordnet sie kritisch ein. Die mit zwölf Illustrationen, zwei Karten und einem Register ausgestattete Arbeit machen das Buch nicht nur für Spezialisten sehr lesenswert.

Mittwoch, 08.11.2017