Vorgestellt: Franz Hitze
Dienstag, 16.03.2021
Ohne ihn sähe es in Deutschland anders aus: Ein Priester arbeitete an den Grundlagen unserer Sozialversicherungen. Und kaum einer wird es wissen. Vor 170 Jahren wurde Franz Hitze im Sauerland geboren ...
INFO: Am 16. März 2021 jährt sich zum 170. Mal sein Geburtstag, am 20. Juli zum 100. Mal sein Todestag 1921 in Bad Nauheim: Franz Hitze galt in seiner fast 40-jährigen beruflichen Tätigkeit als der einflussreichste deutsche parlamentarische Sozialpolitiker und als der sozialpädagogische Altmeister der katholischen praktisch-sozialen Arbeit. In der mehr als 150-jährigen Tradition des sozialen Katholizismus in Deutschland nimmt er einen herausragenden Platz ein. Von Bismarck als „agitierender Kaplan" bezeichnet, war er maßgeblich an den Grundlagen des heutigen Sozialversicherungssystems im Deutschen Kaiserreich und an dessen praktischer Umsetzung in der Weimarer Republik beteiligt.
Franz Hitze, geboren am 16.3.1851 in Hanemicke, heute Teil von Olpe, stammte von einem großen Bauernhof, kam aber früh bereits mit dem Elend der Arbeiterschaft in Berührung. Schon während seines Studiums der Theologie in Würzburg (1872-1877) plädiert er in Vorträgen vor seinen Mitstudenten im katholischen Studentenverein Unitas für eine grundlegende Sozialreform. Es entstanden die Schriften Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung (1877), Quintessenz der sozialen Frage (1880) und Kapital und Arbeit und die Reorganisation der Gesellschaft (1880). Nach der Priesterweihe 1878 ging er für knapp zwei Jahre nach Rom und übernahm 1880 das Amt des Generalsekretärs des Verbandes Arbeiterwohl in Mönchengladbach, einem Zusammenschluss von katholischen Fabrikanten, Intellektuellen und Geistlichen. Von 1882-93 und 1898-1912 gehörte Hitze dem Preußischen Abgeordnetenhaus an, 1919 der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung in Weimar und von 1884-1921 dem Deutschen Reichstag. 1920 wurde er Ehrenvorsitzender der Zentrumspartei. Ab 1893 hatte Hitze in Münster die erste Professur für christliche Gesellschaftslehre weltweit inne und galt in seiner Arbeit im Reichstag als einer der wichtigsten Fachpolitiker in der Sozialpolitik. In seinen Schriften stehen dabei weniger theoretischen Erörterungen im Vordergrund, sondern Beispiele praktischer Sozialpolitik, der Bildungs- und Erziehungsarbeit für die Arbeiter, für den Arbeitsschutz und Möglichkeiten wirtschaftlicher Selbsthilfe. Auf den deutschen Katholikentagen plädierte er für ein offensives Eintreten der Kirche in der sozialen Frage, plädierte für die Gründung katholischer Arbeitervereine und gilt als Mitbegründer der Katholischen Arbeiterbewegung und Christlicher Gewerkschaften. Zur Koordination und Zusammenfassung der sozialcaritativen Arbeit der Kirche in Deutschland unterstützte er die Gründung des Deutschen Caritas-Verbandes, der 1897 in Köln ins Leben gerufen wurde.
Der maßgeblich von Franz Hitze initiierte und 1890 gegründete Volksverein für das Katholische Deutschland wurde bis zum Ersten Weltkrieg die größte katholische Massenorganisation. Sie erzielte durch staats-, wirtschafts-, sozial-, kultur- und gesellschaftspolitische Bildungsarbeit eine große Breitenwirkung – auch gegen staatliche und innerkirchliche Widerstände: Der in Mönchengladbach ansässige Verein entfaltete eine breite publizistische Tätigkeit und setzte sich durch millionenfach verbreitete Flugblätter, Zeitschriften und Bücher für die christlich-sozialen Ideen ein. Schulungen, Kurse und Lehrgänge im Dienst der Volksbildung wurden insbesondere von den katholischen Arbeiter-Organisationen wahrgenommen und trugen dem Verein den Namen Mönchengladbacher Galopp-Universität ein. Zahlreiche Vertreter der katholischen Verbände bildeten ein großes Netzwerk und stiegen bis in hohe politische Funktionen auf. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erreichte der Volksverein über 800.000 Mitglieder. 1933 wurde er wie seine über 6.000 Ortsgruppen in Deutschland von den Nationalsozialisten verboten und zerschlagen.
Katholisch-Soziale Akademie Franz Hitze-Haus: Das 1952 gegründete FRANZ HITZE HAUS ist eine Einrichtung des Bistums Münster und wird vom Bistum getragen. Sie steht im Verbund der 23 katholischen Akademien in Deutschland ist nach dem Weiterbildungsgesetz NRW anerkannt. Sieben Fachbereiche bieten ein Programm mit Veranstaltungen zur politischen, sozialen, theologischen, kulturellen und wissenschaftsbezogenen Bildung und Begegnung. Neben Themen aus den Bereichen Philosophie, Theologie, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kunst, Literatur, allgemeine Zeitfragen und interdisziplinärer Dialog spielen historisch bedingt Fragen zur Sozialethik, die sich mit der sozialen Verpflichtung des Christen zur Mitgestaltung der Gesellschaft beschäftigen, eine besondere Rolle. Kontakt: Katholisch-Soziale Akademie FRANZ HITZE HAUS, Kardinal-von-Galen-Ring 50, 48149 Münster, Tel. 0251 / 98180, Fax 0251 / 9818-480, E-Mail: info(at)franz-hitze-haus.de, Internet: https://www.franz-hitze-haus.de.
Unser Gesprächspartner: Antonius Kerkhoff, Akademiedirektor, Fachbereich 0: Ausstellungen, Konzerte, Tel. 0251 / 9818-400, E-Mail: kerkhoff@franz-hitze-haus.de
Institut für Christliche Sozialwissenschaften: Das Institut für Christliche Sozialwissenschaften (ICS) wurde 1951 gegründet, ist der Forschung und Lehre der Katholischen Soziallehre und Christlichen Sozialethik verpflichtet und und Teil der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Es ist dem 1893 eingerichteten und weltweit ältesten Lehrstuhl für Christliche Sozialwissenschaften zugeordnet. Geleitet wird das ICS seit 2009 von Professorin Dr. Marianne Heimbach-Steins. Seit 1960 wird das Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften herausgegeben. Im Rahmen fachlicher nationaler, europäischer und internationaler Zusammenarbeit ist die Arbeit u.a. durch die Arbeitsgemeinschaft Christliche Sozialethik, die Internationale Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik, das Forum Sozialethik und das weltweite Netzwerk Catholic Theological Ethics in the World Church vernetzt. Kontakt: Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Christliche Sozialwissenschaften, Robert-Koch-Straße 29, 48149 Münster, Tel. 0251 / 83-32640, Fax 0251 / 83-30041, E-Mail: ics@uni-muenster.de, Internet: https://www.uni-muenster.de/FB2/ics/index.shtml.
VIDEO: Zum Hintergrund haben wir uns anlässlich der Veröffentlichung der Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von 1891 vor fünf Jahren an einem filmischen Überblick zur katholischen Sozialbewegung versucht, in der Franz Hitze ebenfalls vorkommt: Rerum novarum: Sozialenzyklika vor 125 Jahren veröffentlicht (9:34 Min.)
Bücher:
- Franz Hitze (1851-1921): Sozialpolitik und Sozialreform. Beginnen wir einmal praktisch.... Hg. v. Dr. Karl Gabriel, Hermann-Josef Große-Kracht, Karl Gabriel, und Hermann-Josef Große Kracht, 279 Seiten, Verlag: Ferdinand Schöningh 2005, 22,90 Euro, ISBN: 978-3-506-72920-0. Der erste Teil des Bandes liefert neben einem Einblick in die Problemlagen der deutschen Sozialpolitik und des sozialen Katholizismus einen informativen Einblick in das Leben und Werk Franz Hitzes. Der zweite Teil präsentiert erstmals oft nur schwer zugängliche Texte und Reden.
- Joseph Höffner (1906–1987): Soziallehre und Sozialpolitik. Der personale Faktor …. Hg. v. Gabriel, Karl, u. Hermann-Josef Große Kracht, Paderborn-München-Wien-Zürich, Schöningh 2006. 255 S., 29,90 Euro. ISBN 978-3-506-72954-5. Die Bände dokumentieren zwei 2001 und 2003 organisierte Fachtagungen zu Leben und Werk von Franz Hitze und Joseph Höffner, die in Kooperation des Instituts für christliche Sozialwissenschaften der Katholisch-Theologischen Fakultät der Wilhelms-Universität Münster mit dem Franz Hitze-Haus, der Katholisch-Sozialen Akademie des Bistums Münster, durchgeführt wurden.